Als Felix Krämer, einer der besten Kunst-Kuratoren Europas und Chef des Kunstpalastes Düsseldorf vor einem Jahr die Ausstellung unter dem Titel: PS ich liebe Dich. Sportwagen Design der 1950er bis 1970er Jahre“ eröffnete, erklärte er:
„Autos sind fahrbare Skulpturen, die vibrieren, Geräusche machen und eine Straßenlage haben“. Schauen wir uns also die Autos genauer an. Es ist alles da: Kindchenschema, Autos die mit großen Augen lächeln, schwellende Formen. Ein Spiel mit Sexualität zwischen männlichem und weiblichem Formenkanon, der goldene Schnitt. Die Designer wussten genau (na ja – nicht alle) was sie tun: Proportionen und ästhetische Prinzipien spielen die gleiche Rolle wie in der Kunst“.
Eine automobile Skulptur die dieser Aussage sehr, sehr nahe kommt ist der Mercedes-Benz 190 SL. Und er wird als kleiner Bruder des 300 SL „Gullwing“ und dem späteren 300 SL Roadster als Jahrhundertentwurf gefeiert. Das ist schon fast so was wie die Auszeichnung zum Weltkultur-erbe. Interessant auch die Hintergründe und wie die Idee zu diesem Auto entstanden ist. Max Hoffmann, der große Importeur für europäische Luxusmarken in New York, machte 1953 dem Vorstand der Daimler-Benz AG den Vorschlag, den ursprünglich ausschließlich für den Renn-sport eingesetzten, und dabei sehr erfolgreichen 300 SL zu zähmen und einen Straßensport-wagen daraus zu machen. Daneben „verlangte“ er einen Boulevardsportwagen, der preislich deutlich unter dem Gullwing angesiedelt sein sollte. Max Hoffmann ist also der Vater der beiden SL-Typen.
War die Basis des 300 SL bereits vorhanden, so verging vom ersten Bleistiftstrich bis zum fertigen Prototyp des 190 SL noch nicht einmal ein Jahr (!). Wenn man sich die jahrelange Produktentwicklung eines Automobils, auch in der damaligen Zeit, mit dutzenden Korrekturen in Technik und Design anschaut, war das Ergebnis in dieser Rekordzeit eine wirkliche Sensation. Und das waren die beiden neuen Mercedes-Benz SL Typen auch bei der Automobilausstellung im Februar 1954 in New York. Publikum und Fachpresse waren begeistert und beide Autos gingen in die Produktion.
1956 schrieb die Schweizer Automobil-Revue: "Mit seiner eleganten Form und der flachen Motorhaube mit der neuen, von den Sportwagen übernommenen niedrigen und breiten Kühlerfront wird der Mercedes 190 SL als die absolut schönste Schöpfung des Hauses Daimler-Benz betrachtet".
Und er war, vor allem auch in den USA, ein außerordentlich großer Erfolg. Der weitaus größte Teil der 190 SL ging nach Nordamerika und entwickelte sich dort sehr rasch zum Filmstar und Liebling zahlreicher Schauspieler und Künstler. Kaum ein anderes Auto dokumentierte als auto-mobile Ikone der fünfziger Jahre das deutsche Wirtschaftswunder so sehr wie der 190 SL. Mit seinen aus allen Blickwinkeln perfekten Proportionen und seiner unvergleichlich faszinierenden Ausstrahlung trug er die Botschaft einer nur wenige Jahre nach dem Krieg wieder erstarkten deutschen Automobil-Industrie in alle Welt.
Ja, und dann kam das „Mädchen Rosemarie“ ins Spiel. „Das war doch das Auto der Nitribitt“ pflegen meist ältere Herren mit verschmitztem Lächeln zu äußern, wenn sie vor einem 190 SL in unserer Fahrzeug-Präsentation stehen. Was war damals geschehen, dass man sich auch mehr als sechzig Jahre später noch daran erinnert? Rosemarie Nitribitt war eine aus sehr problematischen Familienverhältnissen stammende junge Frau, die mit zwanzig Jahren aus der Provinz in die Großstadt Frankfurt übersiedelte um sich dort in nur wenigen Jahren als Top-Prostituierte zu etablieren.
Sie hatte es verstanden sich das Aussehen und vor allem auch das Auftreten einer Grand Dame zuzulegen, verfügte offensichtlich über eine unwiderstehliche Ausstrahlung und unterstrich ihren Auftritt mit einem stadtbekannten schwarzen 190 SL mit roter Lederausstattung. Und diesem „Gesamtkunstwerk“ konnten sich die Herren der besseren Gesellschaft in Frankfurt reihenweise nicht entziehen. Hochgestellte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Sport zählten zu ihrer Kundschaft und lagen ihr förmlich zu Füßen.
Und dann wurde Rosemarie Nitribit im Sommer 1957 brutal ermordet in ihrem luxuriösen Appartement aufgefunden. Die Aufarbeitung des Mordes war schlicht ein Skandal, es wurde unglaublich schlampig recherchiert, auf wundersame Weise verschwanden Beweismittel, wie zum Beispiel ihr Notizbuch mit „Kundendressen“ und alle Ermittlungen liefen ins Leere. Es waren einfach zu viele Prominente in die Affäre Nitribitt verstrickt und der Mord konnte, oder vielmehr durfte wohl nie aufgeklärt werden.
Durch den Nitribitt Skandal gelangte der 190 SL international in die Schlagzeilen und brannte dieses Auto auch nicht Automobil Affinen einer ganzen Generation ins Gedächtnis. Vergleichbar mit dem tödlichen Unfall von James Dean im Jahr 1955, der den Porsche 550 Spyder bis heute als „James Dean Porsche“ in die Geschichte eingehen ließ. Bereits ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod von Rosemarie Nitribitt wurde mit Nadja Tiller der erste Film über den Fall gedreht. „Das Mädchen Rosemarie“ wurde ein Welterfolg und machte Nadja Tiller und den 190 SL zu internationalen Stars.
Der 190 SL hat in vielerlei Hinsicht Geschichte geschrieben und wir sind stolz darauf, uns einen grenzüberschreitenden Ruf als Spezialisten für diese Mercedes-Benz Typenreihe errungen und uns als solche etabliert zu haben. In einer Zeit in der sich die Automobile mehr und mehr zu fahrenden Festplatten entwickeln und die automobile Zukunft generell infrage steht, werden herausragende Ikonen der Automobilgeschichte ihren ideellen und materiellen Wert nicht nur auf heutigem Stand konservieren, sondern als eingangs beschriebene Kunstobjekte, ihrer Bedeutung entsprechend weiterhin steigern. Davon sind nicht nur wir, Arthur Bechtel Classic Motors, fest überzeugt.
Claus-Henning Guthard 4. Oktober 2019
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